Traumasensible Führung

TRAUMASENSIBLE FÜHRUNG
PSYCHOLOGISCHE SICHERHEIT: LÄNGST EIN ERFOLGSFAKTOR
Psychische Belastungen und Traumafolgestörungen betreffen längst weite Teile unserer Gesellschaft – und damit auch die Arbeitswelt. Die Zahl psychisch bedingter Krankmeldungen steigt seit Jahren deutlich: 2023 meldete die KKH einen Anstieg um 85 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, bei der TK machten psychische Erkrankungen zuletzt über 17 Prozent aller Fehltage aus.
Die Ursachen sind vielfältig: eine komplexe, schnelllebige Welt, in der berufliche, persönliche und gesellschaftliche Anforderungen Menschen zunehmend an ihre Grenzen bringen. Hinzu kommen nicht selten traumatische Erfahrungen – oft unbewusst mitgetragen und langfristig wirksam.
Laut Studien erleben über 50 Prozent der Menschen im Laufe ihres Lebens traumatische Ereignisse. Die Folgen zeigen sich auch im beruflichen Alltag: Rückzug, Erschöpfung, übersteigerter Leistungsanspruch oder konflikthafte Dynamiken. Organisationen sind keine Schutzräume – sie spiegeln gesellschaftliche Entwicklungen. Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Zusammenarbeit hängen heute mehr denn je von der psychischen Stabilität der Mitarbeitenden ab. Klassische Führungsmodelle reichen hier nicht mehr aus.
Trauma - Eine Definition
Was traumasensible Führung bedeutet
Um solche Verhaltensmuster zu erkennen, brauchen Führungskräfte zunächst einmal Traumawissen. Eine Voraussetzung entsprechende Muster erkennen und ihnen mit Haltung und Beziehungskompetenz begegnen zu können. Traumasensible Führung fördert Vertrauen, sorgt für klare Kommunikation, ermöglicht Partizipation und achtet auf emotionale Sicherheit – bei anderen und bei sich selbst. Sie ist emphatisch und verlässlich.
Traumasensible Führung heißt innehalten, hinschauen, verstehen. Menschen brauchen psychologische Sicherheit, bevor sie Leistung erbringen und Verantwortung übernehmen können. Traumasensibel führen bedeutet nicht therapieren – sondern eine Haltung zu entwickeln, die dem anderen mit Respekt begegnet und Stabilität und Orientierung gibt. Auch – oder gerade – wenn es schwierig wird.
Diese Haltung stützt sich auf Erkenntnisse aus Psychotraumatologie, Systemik und moderner Organisationsentwicklung. Sie nimmt Beziehungsqualität ernst, schafft Sicherheit und stärkt Resilienz – individuell und im Team.
Mehr als ein ethisches Anliegen
In Zeiten multipler Krisen – von Pandemie über Krieg bis Klimawandel – sind Unternehmen kein Gegenentwurf zur Welt, sondern Teil davon. Fachkräftemangel, hohe psychische Belastung junger Generationen und steigende Fehlzeiten zeigen: Zukunftsfähigkeit braucht neue Formen des Führens.
Traumainformierte und traumasensible Führung senkt nicht nur Krankheitsquoten. Sie verbessert das Betriebsklima, stärkt emotionale Bindung, fördert Kreativität und macht Organisationen lebensfreundlich. Studien zeigen, dass traumasensible Organisationen resilienter, agiler und menschenfreundlicher sind – und dadurch langfristig erfolgreicher.
Beziehungsorientiert, emphatisch und menschlich
Psychologische Sicherheit: eine Voraussetzung für Leistungsfähigkeit
Stille Signale von Stress, Überforderung oder Rückzug erkennen
Vertrauen, Zugehörigkeit und gesunde Leistungsbereitschaft stärken
Empathische Kommunikation fördern und Konflikte verringern
Selbstregulation und kollektive Resilienz unterstützen
Organisationen menschlicher – und attraktiver machen
Präventiv gegen Burnout, Fluktuation und Sinnverlust wirken
Räume für Entwicklung, Wachstum und Zusammenarbeit auf Augenhöhe eröffnen
Von der Psychotraumatologie in die Organisationen
Der Ansatz traumasensibler Führung hat seine Wurzeln in der Psychotraumatologie, Sozialarbeit und Pädagogik – und gewinnt zunehmend auch in Unternehmen, Verwaltungen und gesellschaftlichen Institutionen an Bedeutung. Das Ziel: Räume schaffen, in denen Menschen gesund, vertrauensvoll und resilient zusammenarbeiten können.
In den USA entstand der Begriff der trauma-informed care in den 1990er-Jahren, maßgeblich mitentwickelt durch die Gesundheitsbehörde SAMHSA. Organisationen und Führungskräfte sollen Anzeichen von Traumafolgen erkennen, verstehen und retraumatisierende Dynamiken vermeiden.
Wegweisend war zuvor die Arbeit der Psychiaterin Judith Herman, die mit ihren Veröffentlichungen („Trauma and Recovery“, 1992) die Grundlagen für das Verständnis komplexer Traumatisierungen legte. Körperorientierte Ansätze wie Somatic Experiencing von Peter Levine erweiterten das Feld um die Bedeutung somatischer Selbstregulation – ein Thema, das auch in der Stressbewältigung in Organisationen heute relevant ist.
In Europa, insbesondere in Deutschland und Österreich, wurden diese Erkenntnisse ab den 1980er-Jahren aufgenommen und mit pädagogischen und sozialarbeiterischen Perspektiven verknüpft. Die sogenannte Traumapädagogik entstand zunächst in der Kinder- und Jugendhilfe. Parallel dazu wuchs ein interdisziplinärer Diskurs, wie Organisationen – besonders im sozialen Bereich – traumasensibel gestaltet werden können. Daraus ergeben sich bis heute Impulse für Führung, Teamentwicklung und organisationalen Wandel.